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Kunst- und Kultur-Quartier Alanbrooke

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Sind Visionen wirklich ein Grund, den Arzt aufzusuchen?

Das bekannte Zitat „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ wird gemeinhin dem ehemaligen sozialdemokratischen Kanzler Helmut Schmidt zugeschrieben. Aber mal abgesehen davon, ob Schmidt diesen Satz tatsächlich jemals gesagt hat, stellt sich die Frage, ob dieser Satz stimmt. Können zukünftige Entwicklungen gänzlich ohne jegliches utopisches Gedankengut gestaltet werden? Benötigen Stadtplanung und Stadtentwicklung nicht auch Utopien?Wer auch immer über solche Fragen nachdenkt und nicht auf visionäre Ideen verzichten mag, wird der Aussage zustimmen, dass Stadtentwicklung mehr bedeutet als nur Perspektiven für Wirtschaft, Arbeit oder Wohnen zu entwerfen. Denn sind es nicht letztlich und vor allem Visionen im Bereich von Kunst und Kultur, die eine Stadt erst lebens- und liebenswert machen?

Was aber hat das jetzt mit Paderborn zu tun?

Mit der Eröffnung des Stadtmuseums ist die Neuordnung der Museen und Galerien in Paderborn vorläufig abgeschlossen. Nicht nur wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehen aber in den Konversionsflächen eine neue Gelegenheit für die Weiterentwicklung des Kulturstandortes Paderborn. Bereits auf dem Alanbrooke-Gelände gibt es nämlich die Chance, neue, visionäre Konzepte umzusetzen. Hier soll ein lebendiges und attraktives innerstädtisches Quartier entstehen, das Wohnen und Arbeiten miteinander verbindet. Diese denkmalgeschützten Gebäude sind bestens geeignet, kultur- und kreativwirtschaftliche Aktivitäten in unserer Stadt zu berücksichtigen und in die weiteren Planungen einzubeziehen.

Ein Kunst- und Kultur-Quartier – wie soll das aussehen?

Die geplanten großzügigen Freiflächen im Nordteil des Geländes sind prädestiniert dafür, zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum auszustellen. Vonseiten der kreativwirtschaftlichen Akteure gibt es ein hohes Interesse, den denkmalgeschützten Teil des Quartiers zum Kristallisationspunkt eines Zentrums für Kultur und Kreativwirtschaft umzugestalten. Mit der Umnutzung der ehemaligen Kasernengebäude ließe sich das richtige Ambiente für Kulturprojekte, junge Kreative, Start-ups sowie ein Standort für den Kunstverein schaffen. Die Kulturschaffenden der Stadt würden nicht nur verbesserte Kooperationsmöglichkeiten vorfinden, sondern auch von einer gemeinsamen Infrastruktur profitieren.

Wie kann das realisiert werden?

Die Idee zur Schaffung eines solchen Quartiers hat auch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr viel Charme. Bei aller Begeisterung für die sich bietenden Chancen – eine konkrete Umsetzung dieser Vision erweist sich als nicht unproblematisch. Während die Kulturszene und die Kreativwirtschaft sicherlich angetan sind von einem solchen Quartier und sich sozial-verträgliche Mieten für Ateliers, Proben- und Büroräume, kulturelle Ausstellungs- und Veranstaltungsräume sowie ein gastronomisches Angebot im neuen Wohnquartier versprechen, ist zu klären, wie ein tragfähiges betriebswirtschaftliches Konzept aussehen kann.

Dazu gehört auch zu klären, wie viel Finanzmittel die Stadt bereit ist für ein solches Projekt aufzubringen. Zu diesem Zweck ist aber auch der Umfang der Nutzfläche zu ermitteln, eine Raumbedarfsanalyse vorzulegen und letztlich ein Nutzungs- und ein Betreibermodell zu entwickeln. Schauen wir mal, was daraus wird. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen an der Seite der Kultur- und Kreativwirtschaft. Damit aus einer Vision Wirklichkeit wird. Und am Ende keiner zum Arzt gehen muss.

Muss Kultur kostenlos sein ?

Muss Kultur kostenlos sein?

In der Politik ist Kultur keine Pflichtaufgabe. Wenn Haushaltsberatungen anstehen, gehört der Kulturhaushalt zu denen, die in Zeiten knapper Kassen und unabwendbar drängenderer Aufgaben Kürzungen fürchten müssen.

Dennoch ist das kulturelle Angebot einer Kommune ein wichtiger Faktor in der Gestaltung des Zusammenlebens und des Bildens einer gemeinschaftlichen Identität. Dessen sind sich parteiübergreifend alle bewusst.

Die Geister scheiden sich erst an der Finanzierung.

  • Darf Kultur etwas kosten?
  • Wenn ja, wieviel?
  • Muss sie nicht, als eine Möglichkeit der Bildung, für alle barrierefrei zugänglich sein?

Kultur ist kein Wirtschaftsprodukt

Einerseits kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass Museen, Bibliotheken und Theater wie jedes andere Unternehmen schwarze Zahlen schreiben und kein Zuschussgeschäft sein sollten. Kultur ist jedoch kein Wirtschaftsprodukt, das sich in Massen und zu Höchstpreisen auf dem freien Markt unter das Volk bringen lässt.

Die Angebote, die Theater, Museen und ähnliche Einrichtungen erarbeiten, erfordern oft einen großen personellen Aufwand, der nur durch die Hilfe von vielen oft gering bis gar nicht entlohnten Hilfskräften (Praktikanten u.ä.) gestemmt werden kann. Auch müssen geeignete Räumlichkeiten vorgehalten und betrieben werden. Kein bezahlbarer Eintritt kann diese Kosten aufwiegen. Und sollte es auch nicht. Die Begeisterung zum Beispiel von Schüler*innen, die an Gruppenangeboten von Museen teilhaben, oder die sich in theaterpädagogischen Projekten auch untereinander von ganz neuen Seiten kennenlernen konnten, ist nicht finanziell messbar.

Museum oder Döner ?

Als ich noch im Deutschen Historischen Museum in Berlin Führungen gemacht habe, führte ich einmal eine kleine Gruppe von Schüler*innen, die mir als lernschwach, sozial schwierig und mit einer geringen Aufmerksamkeitsspanne gesegnet angekündigt waren. Am Ende sind wir eine geschlagene Stunde durch eine sehr umfangreiche Ausstellung zum Heiligen Römischen Reich gegangen und die Jugendlichen waren so begeistert bei der Sache, dass sie sich untereinander schon zu einem weiteren privaten Besuch verabredet haben. Diesem Besuch war zuträglich, dass der Eintritt für alle unter 18 Jahren frei ist. Keiner muss dafür auf einen Döner verzichten.

Bildungsherkunft bestimmt Bildungzukunft !?

Allerdings zeigen Studien wie die Sinus-Milieu-Studie auch, dass die Wahrnehmung kultureller Angebote nicht allein vom Geld abhängt, sondern eher eine Frage der Bildung ist. Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen tendieren demnach zum Besuch von Events und sehen für sich und ihre Familie nicht unbedingt einen Mehrwert in einem „klassischen“ Museumsbesuch – es sei denn, dass er mit einem besonderen Fest (also wieder einem Event) verknüpft ist. Dass das aktuelle Bildungssystem in Deutschland stärker als in vielen anderen Ländern einen solchen Zusammenhang aus Bildungsherkunft und Bildungszukunft nur fördert, ist nicht hinnehmbar. Außerschulische Lernangebote erscheinen mir sehr geeignet, Kinder aller Milieus gleichermaßen zu fördern.

Da höre ich bereits die Stimmen, die ein großes „Aber“ laut werden lassen. Natürlich können Angebote, die im Rahmen des Unterrichts stattfinden, kostenlos sein, aber alle anderen sollten ruhig bezahlen. Was passiert, wenn Schüler*innen aus einkommensschwachen Familien am Wochenende den Rest ihrer Familie in das Museum führen wollen, für das sie sich während des Schulausflugs so begeistert haben? Ein Eintritt, auch ein geringer, kann eine große Hürde sein, wenn es darum geht, etwas Neues auszuprobieren. Dass Fahrgeschäfte einer Kirmes oder ein Kinobesuch weit teurer sein können, ist kein Argument, das ich gelten lasse: Der Mehrwert ist da für viele deutlicher und greifbarer, unmittelbarer.

In London haben viele Museen den Eintritt abgeschafft und so höhere Besucherzahlen generiert. Die Qualität des Aufenthalts, oder ob dieser sich nur auf die Waschräume beschränkt, wurde nicht berücksichtigt.

Bereicherung durch Kultur ist nicht messbar – aber die grundlegende Idee !

Besucherzahlen werden jedoch oft dazu herangezogen, um vor den Geldgebern den Erfolg des „Unternehmens“ darzustellen. Freier Eintritt klingt da wie ein schlagendes Argument. Die eigentliche Aufgabe von Kultureinrichtungen liegt allerdings jenseits des Eingangsbereiches. Die Bereicherung, die jede und jeder Einzelne durch den Besuch einer Bibliothek, eines Theaters oder Museums erfährt, ist nicht messbar – und macht doch allein den Erfolg aus.

Vor der Sitzung des Kulturausschusses, in der über die Eintrittspreise der Paderborner Museen entschieden wurde, stand ich auf einem Standpunkt, den nachher die FDP vertreten hat. Ich wollte einen Kompromiss aus niedrigen, bezahlbaren Eintrittspreisen, gerne in Kombination mit einer Erhöhung der Anzahl eintrittsfreier Tage (die wiederum als Event hätten vermarktet werden können) und aus der Generierung von Einnahmen. Ich dachte, dass selbst geringe Einnahmen dazu geeignet wären, den Geldgebern gegenüber guten Willen zu zeigen und ein, wenn auch geringes, Scherflein zum eigenen Betrieb beizutragen. Bei den lobenswerter Weise niedrig angesetzten Eintrittspreisen von 2,50 € pro Vollzahler übersteigt nun aber der Aufwand, dessen es Bedarf, um die Kasse zu besetzen und alles abzurechnen, den Nutzen der Einnahmen.

Da höhere Eintrittspreise aber wiederum der Idee des barrierefreien Zugangs entgegenlaufen, unterstütze ich die Forderung von SPD und Grünen nach freiem Eintritt in Museen und gebührenfreier Benutzung von Bibliotheken.

Sabine Angenendt