Ideologie

Zur Ideologie einer verblassten gelben Partei, die im Farbeimer immerhin einen neuen Anstrich für ihre alten Ideen gefunden hat, gehört der Ausbau neoliberaler Ideen. Inhärent ist ihr der Begriff der Freiheit.

Das Credo ´maximale Freiheit für jeden´ klingt in aufgeklärten und inzwischen demokratieerfahrenen Ohren wohltuend und richtig. Doch ist hier wirklich jeder gemeint? Gilt die Forderung nach maximaler Freiheit für jeden einzelnen? Die Antwort ist nein. Die maximale Freiheit, deren Förderung sich diese Partei verschrieben hat, gilt für die Starken. Erfolgreiche Unternehmer etwa, die zweifelsfrei wichtig für die Gesellschaft sind, weil sie Verantwortung übernehmen, Leistung zeigen und Arbeitsplätze schaffen, sollen in den Genuss völliger Freiheit kommen. Eine Freiheit, die aber auch für die dafür empfänglichen eine Einladung bedeuten kann, sich von Politik und Gesellschaft zu entkoppeln um am freien Markt Profite zu generieren und ihre Stärke nicht limitiert auszubauen, ohne sich um den Rest der Gesellschaft scheren zu müssen. Eine laissez faire Haltung und das Recht des Stärkeren sollen hier gelten. Neoliberale Geister argumentieren, dass die Schwächeren, die sie ignorieren können, eben selbst die Schuld an ihren Niederlagen tragen. Schließlich hätten sie sich ja mehr anstrengen können, um auch zu den Starken zu gehören.

Ignoriert wird hier zunächst das deutsche Grundgesetz. Im Artikel 14 heißt es unter Punkt 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Dieser Artikel nimmt die Starken in die Verantwortung, sich gegenüber Politik und Gesellschaft solidarisch zu verhalten. Denn diese beiden Säulen sind es, die dem Starken überhaupt erst ermöglichen, stark zu werden und seine Stärke auszubauen.

Vom Starken werden also keineswegs altruistische Leistungen oder gar Almosen erwartet. Als Mitglied der interdependenten Gesellschaft auf die er baut, hat er seinen Teil zum Wohlergehen der gesamten Gesellschaft zu leisten.

Es ist richtig, dass die reichsten 10 Prozent der deutschen Haushalte jährlich mehr als 189 Mrd. Euro an Sozialbeiträgen und Einkommenssteuern zahlen. Ebenso richtig ist aber, dass die reichsten 10 Prozent 63,7 % des gesamten Vermögens in der Bevölkerung besitzen.

Trotzdem: das deutsche Steuersystem ist gerechter als das vieler anderer (auch europäischer) Staaten. Aber kann es richtig sein, dass die Starken und Reichen 10 Prozent, die sich eben nicht deshalb durchgesetzt haben weil sie besonders fleißig oder besonders schlau sind, sondern weil die Gesellschaft ihnen die Möglichkeiten zum Aufstieg gibt, einen so großen Teil des Vermögens auf sich allein vereint? Kann es richtig sein, dass diese soziale Gruppe sein Vermögen auch noch völlig ohne Arbeit und Anstrengung maximieren kann, wenn sie 25% Kapitalertragssteuer zahlt, während durch harte Arbeit bis zu 42% Einkommensteuer fällig ist? Ich denke nicht.

Wie oben behauptet, ist es die Gesellschaft, die den Aufstieg überhaupt erst ermöglicht. Bei der Frage, wer diesen Aufstieg schafft und wer die Chancen dazu hat, ihn anzugehen, wird schnell ein weiterer ungerechter Zustand deutlich: Die ungleiche Verteilung dieser Chancen.

Sie führt dazu, dass auch heute noch in aller Regel die Reichen unter sich bleiben und ein sozialer Aufstieg für die Schwächeren nur sehr selten zu beobachten ist.

Im Jahre 2013 stellte die `20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks` fest, dass von 100 Akademikerkindern 77 ein Studium beginnen. Von 100 Kindern aus Nicht-Akademiker-Haushalten schafften nur 23 den Sprung an die Hochschule.

Wer hier meint Chancenungleichheit zu entdecken hat zweifellos Recht. Die Chancenungleichheit beginnt allerdings noch viel früher und nicht erst bei den Lebensetappen Schule oder Studium. Sie beginnt bereits im Fötus.

Der Chefarzt der Säuglingsstation der Berliner Charité, Prof. Christopf Bührer, konstatierte 2015, dass die Frühchen auf seiner Station fast ausnahmslos aus bescheidenen sozialen Verhältnissen stammen. Er sagt: „Die Statistik zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Frühgeburtlichkeit und niedrigem Sozialstatus.“ Bemerkenswert ist nun die durch Studien belegte Entdeckung, dass Bührers ehemaligen Frühchen im Langzeitverlauf beobachtet, deutlich später sprechen lernen, sich schlechter bewegen und in der Schule öfter sitzen bleiben als „Durchschnittskinder“. Außerdem stellte man fest, dass Frühgeborene Jungen mit unter 1000 Gramm Gewicht im Erwachsenenalter etwa 25% weniger verdienen als „Normalgeborene“.

Sind diese Kinder nun selbst schuld? Haben sie sich nicht genug angestrengt? Haben eben die gewonnen, die sich mehr angestrengt haben und dürfen diese heute zu Recht mit aller Freiheit ihre Stärke ausbauen, ohne sich um den Rest scheren zu müssen, wie es der latenten Ideologie einiger Neoliberaler entspricht?

Die Ideologie unserer Partei charakterisiert sich anders. Auch wir stehen für Freiheit. Aber wir stehen auch für Verantwortung und Gerechtigkeit. Wir stehen für Solidarität und eine soziale Demokratie. Eine Demokratie in der wirklich alle frei sind und die gleichen Chancen haben.

Bei allen Fehlern die unsere Partei in den über 150 Jahren ihrer Geschichte, neben ihren großen Errungenschaften gemacht hat – in jüngerer Zeit etwa gröbere Fehler bei den s.g. Hartz 4-Reformen – sind es nach wie vor diese Werte und Ziele die uns ausmachen.

Der Mindestlohn, das neue Aufstiegs-BAföG und die nur noch einkommensabhängigen Zusatzbeiträge für Krankenkassen sind nur 3 Beispiele für große Errungenschaften unserer Partei in jüngerer Zeit, die unsere Ideologie widerspiegeln.

Als Addendum noch eine Anmerkung: Es sollte nie die Tagespolitik und immer die Ideologie einer politischen Partei sein, die zum Parteiein- oder Parteiaustritt motivieren sollte.

Ganz gleich ob diese Partei dann gelb, violett, grün, schwarz, rot, dunkelrot oder gar blau-rot-weiß ist, ihre Ideologie sollten wir kennen.